Ausstellungsdauer: 22. November – 21. Dezember 2024
Vernissage: Donnerstag 21. November, 18 – 21 Uhr
Finissage: Samstag, 21. Dezember, 16 – 19 Uhr
Öffnungszeiten:
Donnerstag – Samstag 16:00 – 18:00 Uhr
oder nach telefonischer Vereinbarung
Seit dem 7. Oktober 2023 leben wir in einer anderen Welt, in der Zeit und Raum sich scheinbar auflösten. Der Wert von Menschenleben in völlig neuen Kategorien verhandelt wird. Seither gibt es verschiedenen Kategorien für ‚Opfer‘. Die Massakrierten und die Geiseln auf der einen Seite und die unzähligen Toten und Verletzten in Gaza und in Beirut auf der anderen. Es werden Zahlen aufgerechnet, statt die Antwort nach einer friedlichen Lösung zu suchen.
Wie gehen wir mit dem Schmerz, der Trauer, den Schuldgefühlen, der allgemeinen Verunsicherung um? Diese Themen sind ja nicht neu, haben einen langen Vorlauf von Verletzungen, Verlusten und Traumata in den Generationen vor JETZT.
Diese Ausstellung benennt keine Schuldigen und positioniert sich nicht ausdrücklich politisch; sie zeigt, wie Künstlerinnen verschiedener Generationen – Überlebende der Shoa in erster und zweiter Generation – sich über das künstlerische Gestalten ihrer Erlebnisse und Erfahrungen eine Möglichkeit erschaffen, diese in Bildern sprechen zu lassen.
Varda Getzow‘s Werktitel sind oft Zitate aus Gedichten israelischer Autoren, wie u.a. C. N. Bialik, David Avidan, J. C. Brenner. So verschlüsselt sie in poetischen Bildern Verweise auf persönliche Themen und betitelt ihre Arbeiten meist in der Originalsprache Hebräisch u.a. verwendet sie auch Landschaftsbezeichnungen in ihren Werktiteln.
In der Ausstellung zu sehen sind: Vehashamayim Shamu, 2019, Fotografie der Installationsansicht; Now, 2024 Zeichnung auf Papier; ...und die Akazie blühte, 2019-20, Skizzen für eine Skulptur im Ghetto Rom.
Varda Getzow‘s Statement zu ihrer Beteiligung an der Ausstellung: ‘Wie kann man ein Loch in das Herz zeichnen? Hat die Straße ein Gedächtnis und was ist unter dem Fluss begraben? Ich versuche ein Antwort zu finden und erwarte das Fiasko.’
Die Bildhauerin Elsa Pollak (1911 – 2006) hat in ihrem Spätwerk u.a. installative Arbeiten geschaffen, die zuletzt im Yad Vashem Museum in Jerusalem zu sehen waren. Ich habe sie oft in ihrem Atelier in Herzliya besucht und ihren Arbeitsprozess für die Installation ‚Kol mah she notar / All that has remained‘ aus Hunderten keramischer Kinderschuhen verfolgt. Ich durfte mir bei einem dieser Besuche einen Schuh aussuchen, den ich hier – zusammen mit drei weiteren – zeige. Dieser Kinderschuh hatte für mich immer eine besondere Bedeutung... er hätte ja mein Schuh sein können, wäre ich früher geboren.
Ein anderer Aspekt dieser Arbeit, der mich tief bewegt, ist die Tatsache, dass Elsa Pollak die vielen, vielen Schuhe aus Ton formte und dann dem Feuer des Brennofens übergab. Dieses ‚Brennen‘ im Ofen weckt natürlich grausame Assoziationen, denn der Schuhberg bezieht sich ja auf Elsas Erfahrung in Auschwitz. Als Überlebende wiederholt sie den Brennvorgang als rituelle Handlung, transponiert diesen in eine künstlerische Materialisierung.
Andrea Morein – Viele Wochen nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023 war ich erst einmal gelähmt. Jeglicher Umgang mit Bildern war völlig blockiert. Plötzlich war ich wieder ‚fremd‘, es war und ist befremdlich in dieser Zeit hier zu leben und hier eine Position zu finden, mit der ich das Geschehen in Nahost verarbeiten kann, nicht zu sprechen von dem Rechtsruck in der aktuellen deutschen Gesellschaft.
Aus diesem Nebel kam dann der Umgang mit Scherben und Glassplittern in Form von Zeichnungen und danach ein medialer Umgang mit dem, was nicht sichtbar ist. Das Scherbenmotiv wurde selbst zu einem Abgrund... diesmal auch im konkreten Sinn, dem digitalen Abgrund als künstlerische Setzung. Durch die extreme digitale Bearbeitung dem starken Auslöschen und Abstrahieren aller Formen, blieben am Ende nur wenige Spuren; eine zittrige verpixelten Linienführung, wenn man von Linien überhaupt noch sprechen kann. Es ist einen Art des Beweinens dessen, was nicht darstellbar ist. Die dreiteilige Arbeit hat den Titel Lamento 071023.
Die Ausstellung wurde von A. Morein kuratiert.
Werkliste
Varda Getzow
‚Vehashamayim Shamu’, 2019
Installationsansicht, Forum Jacob Pins, Höxter
Nylon Strumpfhosen, verschiedene Möbel, synthetische Haare, Spiegel
Fotografie auf Photorag Papier, 110 x 150 cm
Foto: Varda Getzow
‚Now’, 2024
Zeichnung auf Papier, Stifte und Pastellkreiden, Din A4
‚...und die Akazie blühte’, 2019-20
4 Skizzen für eine Skulptur im Ghetto Rom, Din A4
Andrea Morein
‚Lamento 071023‘, 2024
Dreiteilige Hybridfotografie auf Aludibond kaschiert,
je 80 x 40 cm
Elsa Pollak
Keramikschuhe 1-4
2 Verbrannte Bücher, Keramikobjekte
1 zerbrochene Schrifttafel, Keramik
2 Digitaldrucke: – Details der Installation ‚All that remained‘, je 60 x 45 cm
Foto: Andrea Morein
Varda Getzow, geboren in Jaffa, Israel, lebt und arbeitet seit 1983 in Berlin.
Ihr Werk umfasst Zeichnungen, Skulpturen und Installation. Ausbildung an der Royal Academy Den Haag, Holland, an der School of Graphics und der Kalisher School, Tel Aviv, Israel. 1982 Stipendien an der Cité Internationale des Arts, Paris, Frankreich und 1994/5 DAAD an der Whitechapel Art Gallery, London. Einzelausstellungen u.a. Plaszow Memorial Museum, Krakau, Polen, 2022; Forum Jacob Pins, Höxter, 2019; Dom zu Schwerin, 2011; Haus am Kleistpark Berlin, 2008; Neue Synagoge Berlin, 2001; Gruppenausstellungen u.a.: Kolbe Museum, Berlin, 2011; Marco Museo di Arte Contomporanea, Rom, 2006; Petach Tikva Museum, Tel Aviv, 2005; Yad Vashem, Jerusalem, 2005. Werke in Sammlungen u.a. Israel Museum, Jerusalem; Centrum Judaicum Neue Synagoge, Berlin; Kupferstichkabinett, Berlin; British Museum, London.
Elsa Pollak, geboren 1911, Slowakei; starb 2006 in Israel.
Studierte Kunst und Keramik in Wien. 1944 wurde sie mit ihrer gesamten Familie nach Auschwitz deportiert und 1945 im Frauenlager Lenzing in Österreich befreit. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs studierte sie bei dem Künstler und Bildhauer Kurt Goebel in Wien. 1962 wanderte sie nach Israel aus und ließ sich in Herzliya nieder. Elsa Pollak schuf viele monumentale Keramikskulpturen mit Bezug zu Auschwitz und der Shoah, die bis heute im Ghetto Fighters‘ Museum im Norden Israels ausgestellt sind. Die Schuhinstallation „Alles was blieb…“ wurde 1998 aufgebaut und war bis vor kurzem im Yad Vashem Museum in Jerusalem zu sehen. 1991 erhielt sie den Sussman-Preis für Künstler, die den Holocaust darstellen, verliehen von Yad Vashem.
Andrea Morein *1950 Wien, lebt in Berlin
Interdisziplinäre Künstlerin und Kuratorin mit den Schwerpunkten Embodied Art, Collage, Fotografie, gestischem Zeichnen. Sie untersucht, wie die persönliche Erfahrung der eigenen Geschichte erweitert und in ein größeres Gefühl von Gemeinschaft und Geschichtlichkeit eingebettet werden kann. Gründung des Projektraums ODALISQUE, Berlin 2021. Ausstellungen u.a.: Axel Obiger, Berlin, 2024; Projektraum Odalisque, Berlin 2022/23; Projektraum des Deutschen Künstlerbundes, Berlin, 2021; Kunstraum 21, Bonn 2016/2013/2010; Internationale Photoszene, Köln, 2019; Bauhaus Center, Tel Aviv, 2014; Kibbutz Gallery, Tel Aviv, 2012; Artists‘ House, Tel Aviv, 2009; Jüdisches Museum Wien, 2008; Museolaboratorio, Citta S:Angelo, Italien, 2005; Goethe Institut Brüssel, 2005; artothek Köln, 2004; Kunstmuseum Bochum, 2003; Frauenmuseum Bonn, 2002